Christoph Schlingensiefs Bitte liebt Österreich – Noch 20 Jahre später aktuell?

Von Kara Zoé Handgraaf

Vom 11.-16. Juni 2000 fand auf dem Herbert-von-Karajan-Platz vor der Wiener Staatsoper im Rahmen der Wiener Festwochen Christoph Schlingensiefs Aktion Bitte liebt Österreich – Erste österreichische Koalitionswoche statt.[i]

Die Performance verknüpfte zwei Ereignisse des damaligen Zeitgeschehens: Die erste deutschsprachige Staffel Big Brother wurde von Februar bis Juni 2000 bei RTL ausgestrahlt und die Österreichische Volkspartei unter Wolfgang Schüssel koalierte im Februar desselben Jahres mit Jörg Haiders FPÖ.

„Trotz Ankündigung von Parteichef Wolfgang Schüssel, bei einer Wahlniederlage in die Opposition zu gehen, koalierte seine ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ, der erfolgreichsten Rechtspartei in Europa. Schüssel wurde Bundeskanzler.“[ii] Über Europas Grenzen hinaus führte das zu Protesten und Sanktionen, die EU-Staaten reduzierten ihre diplomatischen Beziehungen zu Österreich und die israelischen und US-amerikanischen Botschafter wurden abgezogen.

Vor diesem politischen Hintergrund fand Schlingensiefs Aktion statt. Nach dem Modell Big Brother errichtete er eine Art Containerdorf im Zentrum Wiens, in das zwölf AsylbewerberInnen einzogen und ununterbrochen gefilmt wurden. Über die Website auslaenderraus.at wurde live gestreamt und gezeigt, was in den Containern passierte. Die ZuschauerInnen waren dazu aufgerufen, jeden Tag für ihreN liebsteN AsylbewerberIn abzustimmen Diejenigen mit den meisten Stimmen durften bleiben. Täglich mussten die zwei AsylbewerberInnen, für die am wenigsten abgestimmt wurde, die Container verlassen, sie wurden „abgeschoben“. Die Person, die am Ende übrigblieb, gewann. „Die wahre Identität der Teilnehmer blieb dabei geheim; und natürlich folgte die Abschiebung nicht auf das Votum des Publikums; doch tatsächlich waren offenbar einige Jahre nach der Show alle Teilnehmer abgeschoben.“[iii]

Auf dem Dach eines Containers hing ein Banner auf dem „Ausländer Raus“ stand, rings um die Container waren Zitate der Freiheitlichen Partei Österreichs angebracht. Sie hatte im Wahlkampf u.a. mit dem Slogan „Wir garantieren: Stop der Überfremdung – Österreich zuerst!“ um WählerInnenstimmen geworben.[iv]

Neben der Liveübertragung des Alltags in den Containern, gab es ein Programm mit Konzerten, Reden oder Puppentheater auf dem Dach eines Containers. Schlingensief moderierte das gesamte Geschehen über ein Megaphon. Er gab dabei rechte Zitate, u.a. der FPÖ, von sich und propagierte so selbst deren rechte Hetze.

Es kam zu Szenen, in denen beispielsweise ein älterer Mann – mitunter mit Österreichfahne behangen – lautstark zustimmte, dass AusländerInnen hingerichtet werden sollten. Schlingensief überließ ihm nach einer Weile das Megaphon und gab ihm so die Möglichkeit weitere rechte Parolen über den Platz zu tönen. Schlingensief rief TouristInnen auf, Fotos der Container mit den fremdenfeindlichen Zitaten zu machen und diese in ihren Herkunftsländern zu zeigen, um zu verbreiten „So ist Österreich“. Es entstanden Bilder, auf denen ein riesiger Pulk Menschen augenscheinlich die rechten Aussagen zustimmend bejubelt und beklatscht. Während der gesamten Aktion betonte Schlingensief immer wieder, dass es die Koalition von ÖVP und FPÖ sei, die zuließe, dass in der österreichischen Öffentlichkeit fremdenfeindliche Parolen stehen und gerufen werden könnten. Sie seien dafür verantwortlich, dass auf einem der wichtigsten Plätze Wiens eine Woche lang u.a. ein „Ausländer Raus“-Banner hängen könne, da sie nichts dagegen unternahmen.

Hier liegt der zentrale Konflikt der Aktion. Sie richtete sich im Grunde mit Inhalten und Mitteln der Rechten gegen die Rechte. Durch das öffentliche zur Schau stellen und inszenieren sollte vorgeführt werden, wie die Realität in Österreich zu diesem Zeitpunkt längst war: Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhass und Rassismus wurden akzeptiert. Indem Schlingensief selbst die Inhalte der Rechten nutzte und wiedergab, stellte er diesen Missstand aus.

Er reproduzierte, was es längst gab: Containerdörfer, in denen AsylbewerberInnen auf ihre Abschiebungen warten müssen, Hass und Hetze gegen AusländerInnen usw. Schlingensief verwandelte „den Big Brother Container in ein Flüchtlingslager und installiert[e] es im Herzen der Stadt“.[v] Hier – inszeniert im Zentrum Wiens – führten ein solches Lager und derartige Parolen zu Wut und Protesten. Uninszeniert – in der Realität – schienen sie hingegen insgesamt stillschweigend hingenommen zu werden.

Auf die Spitze getrieben zeigte dies vor allem eine Protestaktion am dritten Tag der Performance. Linke DemonstrantInnen wollten die Container stürmen und die AsylbewerberInnen befreien. Dabei ist fraglich, wovor sie konkret hätten gerettet werden sollen, wurde doch das Lager einer Kunstaktion gestürmt und kein real Existierendes. Schlingensief brachte den DemonstrantInnen entgegen, dass sie damit versucht hätten, ein besseres Österreichbild hervorzubringen. Viel stärker für die linke Sache hätte aber gewirkt, wenn all die konzentrierte Fremdenfeindlichkeit komplett ohne Aufschrei hingenommen worden wäre, weil das Skandalöse damit noch viel eindringlicher zu sehen gewesen wäre. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass es ausschließlich Protest seitens der Bevölkerung gab. Ein Eingreifen des Staates durch die Polizei blieb aus.

Es kann nur gemutmaßt werden, dass dies einzig an den namenhaften Wiener Festwochen und dem bekannten deutschen Künstler Christoph Schlingensief lag. Hätte eine ähnliche Kunstaktion ohne diesen Rahmen stattgefunden, wäre sie vielleicht anders verlaufen. Dies zeigt sich an zahlreichen anderen Exempeln. 2013 beispielsweise inszenierte der japanische Künstler Tadashi Kawamata auf dem Messeplatz der Art Basel für diese das Favela Café.[vi] Dafür ließ er Baracken auf dem Platz vor der Messe bauen, in denen das Publikum Essen und Getränke kaufen und zu sich nehmen konnte, womit aus einem Nachbau einer real existierenden Tragödie ein Café zum Wohlfühlen für Nicht-Betroffene wurde.[vii] Die Art Basel erhob das Bauen einer Favela auf dem Messeplatz zu Kunst oder anders formuliert: Durch den Auftraggeber und den Anlass wurde das Barackendorf als Kunstprojekt legitimiert. Als Protest gegen dieses Projekt bauten AktivistInnen auf dem gleichen Platz weitere Wellblechhütten. Nachdem sie den Platz auf Bitten der Art Basel nicht verlassen wollten, schaltete die Messe die Polizei ein, die die Protestfavela gewaltsam räumte, während das Favela Café ungestört bleiben konnte. Rippmann weist auf den zynischen Umstand hin, dass mit Ai Weiwei auf der Messe ein regierungskritischer Künstler gefeiert werde, der in China mit staatlicher Repression kämpfen muss, „während vor der Messe die Staatsgewalt gegen Kunstaktivisten vorgeht.“[viii]

Es stellen sich also nicht nur bei Schlingensief die immer wiederkehrenden Fragen danach, was als Kunst gilt, was sie darf und was sie (politisch) bewirkt oder bewirken kann. Aber bei den hier genannten Beispielen und gerade im Fall von Bitte liebt Österreich – Erste österreichische Koalitionswoche muss im Rahmen des Verhältnisses von Kunst und Politik auch explizit nach dem Verhältnis der Linken zu Kunst gefragt werden.[ix]

In Bezug auf Kawamatas Favela Café kann man festhalten, dass er es mit seinem Kunstwerk schaffte eine gesellschaftliche Kontroverse auszulösen, ob er es forcierte oder nicht. Schlingensief löste mit seiner Aktion ebenfalls Streitigkeiten aus, reihte sich zum Zeitpunkt seiner Performance mit dieser allerdings in eine Welle von Protesten gegen die österreichische Regierung ein. Die gesellschaftliche Diskussion war also bereits gegeben.

Nichtsdestotrotz liegt beiden Kunstprojekten ein provokanter Impetus inne, deren Diskussionen und Streitigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen aus stellvertretenden Positionen ausgetragen werden. Weder Schlingensief, die linken DemonstrantInnen,[x] noch die AktivistInnen der Protestfavela sind direkte Betroffene der Problematiken, gegen die sie sich jeweils wenden.

Diese Aktionen müssen daher danach befragt werden, wer für wen spricht und einsteht und wer eben nicht spricht oder sprechen kann. Denn wenn das Theater – oder allgemeiner die Kunst –

„sich heute mit der Position der Rechtlosen, ihrem Anspruch, ihrer Sprache beschäftigt, dann kann es […] nicht die Illusion einer Verhandlung zwischen Rechtssubjekten auf der Bühne der politischen Repräsentation erzeugen. Denn eine Verhandlung ist zwischen zwei Parteien, von denen die eine die Bühne der Politik und der Repräsentation gar nicht betreten kann, schlichtweg nicht möglich.“[xi]

Dieser Gedanke scheint für Bitte liebt Österreich – Erste österreichische Koalitionswoche unddie Protestfavela des Favela Café bedeutend. Denn mit dem Begriff der Bühne wird die Frage danach, wer Zugang zu ihr hat zentral. Der Bühne – sei es die theatrale, die politische oder die rechtliche – liegt als wesentliches Prinzip jenes der (Stell-) Vertretung zugrunde. Nur wer vertreten werden kann, durch SchauspielerInnen, PolitikerInnen oder AnwältInnen, scheint auf diesen Bühnen sichtbar werden zu können. Schlingensief bietet den teilnehmenden AsylbewerberInnen eine Bühne, er nutzt sie jedoch für seine Zwecke, seine Aktion. Er inszeniert sie, wie er es für seine Performance braucht. Obwohl also durch Schlingensief die AsylbewerberInnen selbst sichtbar gemacht werden bzw. auf der Bühne erscheinen, können sie sich zu keinem Zeitpunkt aktiv einbringen und werden nicht tatsächlich repräsentiert. Dahingestellt sei dabei, ob das Schlingensiefs Intention war. Ähnlich liegt es bei der Protestfavela. Die Baseler AktivistInnen scheinen sich mit ihrem Nachbau der Baracken stellvertretend für alle Menschen, die in Favelas leben müssen, zu empören, können diese aber nicht repräsentieren. So kann zu keinem Zeitpunkt ein gleichberechtigter Dialog entstehen, an dem direkt Betroffene beteiligt sind. StellvertreterInnen scheinen lediglich zu behaupten in ihrem Sinne zu handeln und zu sprechen.

Schlingensiefs Container-Performance scheint 2020 – 20 Jahre nach der Aktion und zehn Jahre nach Schlingensiefs Tod – thematisch nicht an Aktualität eingebüßt zu haben. Reagierte sie auf den Zusammenschluss der ÖVP mit der FPÖ, der zu seiner Zeit eine Krise der innereuropäischen Politik auslöste, sind aus aktueller Perspektive diese Art Koalitionen keine Ausnahme. „Die Regierungsbildung einer Partei wie der FPÖ […], damals wenig mehr als ein Spuk, den die übrigen EU-Staaten durch symbolischen Exorzismus zu verscheuchen versuchten, ist mittlerweile in Österreich wie auch in vielen anderen Ländern zur neuen Normalität geworden.“[xii]

So bildete beispielsweise ab Dezember 2017 die ÖVP eine Regierung mit der FPÖ,[xiii] in der Heinz-Christian Strache bis zur Ibiza-Affäre[xiv] im Mai 2019 Österreichs Vizekanzler werden konnte. In Italien tat sich die Fünf-Sterne-Bewegung nach den Wahlen im März 2018 mit der Lega Nord zusammen. Diese Koalition ermöglichte es u.a. Matteo Salvini Innenminister zu werden, der während seiner Amtszeit für zahlreiche Kontroversen sorgte, zum Beispiel indem er internationales Seerecht brach als er einem Seenotrettungsschiff mit 629 schiffsbrüchigen Geflüchteten an Bord die Genehmigung verweigerte, in den nächsten sicheren Hafen einzufahren.[xv]

Ein prominentes innerdeutsches Beispiel wurde im Februar 2020 der FDPler Thomas Kemmerich, der sich mit Stimmen der AfD kurzzeitig zum thüringischen Ministerpräsident wählen ließ und damit heftige Kritik erntete.[xvi]

An diese Geschehnisse ließen sich einige weitere anfügen und sie alle führten zwar jedes Mal zu einem empörten Aufschrei, anders als im Jahre 2000 folgten auf diese Regierungsbildungen aber keine vergleichbaren europäischen Sanktionen oder ein Abzug von BotschafterInnen außereuropäischer Staaten.

Eine rechte Regierungsbeteiligung scheint so längst salonfähig geworden zu sein. Hier müssen nicht nur im Bereich der Kunst dringend Antworten her.

Redaktion: Miedya Mahmod / Sara Hinderhofer


[i] Vgl. Moldenhauer, Benjamin: „Du deutsche Sau, du! Du Künstler!“, 28.12.2015, https://www.spiegel.de/geschichte/christoph-schlingensief-der-asylbewerber-container-in-wien-a-1065826.html, Abruf am 10.09.2020.

[ii] Ebd.

[iii] Etzold, Jörn: „Selektion im Container (Schlingensiefs Bitte liebt Österreich!)“. In: Etzold, Jörn: Flucht. Hamburg 2018, S. 61-75, hier S. 62f

[iv] Vgl. ebd., S. 62

[v] Ebd., S. 63

[vi] Vgl. Maurer, Andreas: „Inszeniertes Elend: Japanischer Künstler baut eine Favela an der Art Basel“, 22.06.2013, https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/inszeniertes-elend-japanischer-kuenstler-baut-eine-favela-an-der-art-basel-126429827, Abruf am 14.09.2020.

[vii] Vgl. Rippmann, Till: „Istanbuler Schnitzelbank an der Art Basel“, 20.06.2013, https://www.vice.com/de/article/9b8ekp/istanbuler-schnitzelbank-an-der-art-basel, Abruf am 13.09.2020.

[viii] Ebd.

[ix] Im Jahr 2019 ist hierzu eine Studie von Jens Kastner „Die Linke und die Kunst“ im Unrast Verlag erschienen. Arend, Ingo: „Die Kunst lenkt nicht vom Klassenkampf ab“, 21.01.2020, https://www.deutschlandfunkkultur.de/jens-kastner-die-linke-und-die-kunst-die-kunst-lenkt-nicht.1270.de.html?dram:article_id=468321, Abruf am 30.10.2020.

[x] Wobei hier von Bedeutung ist, wogegen sich die linken DemonstrantInnen konkret wenden. So sind sie nicht persönlich von den Problematiken der Asyl- und Abschiebepolitik betroffen, wohl aber von rechter Hetze und Gewalt.

[xi] Etzold: „Selektion im Container (Schlingensiefs Bitte liebt Österreich!)“ , S. 74

[xii] Ebd., S. 69

[xiii] Nach der Koalition der ÖVP mit der FPÖ vom 04. Februar 2000 gab es noch weitere Regierungsbeteiligungen der FPÖ bis 2017.

[xiv] Vgl. Al-Serori, Leila et al.: „Die wichtigsten Fakten zum Strache-Video“, 17.05.2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/strache-video-oesterreich-boehmermann-1.4449557, Abruf am 13.09.2020.

[xv] Vgl. Thelen, Raphael (2018): „Endlich an Land“, 17.06.2018, https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-ankunft-der-aquarius-in-valencia-a-1213432.html, Abruf am 13.09.2020.

[xvi] Vgl. Mestermann, Marius et al.: „Wir erwarten von Thomas Kemmerich, dass er das Amt unverzüglich niederlegt!“, 05.02.2020, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-die-fdp-hat-sich-von-faschisten-ins-amt-waehlen-lassen-a-12efca47-e6ab-4d93-9e4b-e74a6c849f9e, Abruf am 13.09.2020.

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